Norbert Flaubert am 24. März 2017
Gestern hatte ich einen Streit mit meinem Freund Frederyk. Als wir dabei waren uns wieder zu versöhnen, sagte er zu mir: “Ich weiß, meine Armut ist hässlich. Sie stinkt zwar noch nicht und sie hat noch keine Löcher im Pullover oder in den Zähnen – nur in den Schuhen und in der Hosentasche – meine Armut ist nicht schön, meine Haare hab’ ich mir selber geschnitten, mich mit stumpfer Klinge rasiert und geschnitten, weil meine Mundwinkel so weit runterhängen. Ich bin wirklich unfähig, in dieser Welt zu leben.”
“Du irrst dich,” sagte ich zu ihm, “du stinkst schon.” Konfrontiert mit seiner Weinerlichkeit loderte die Streitlust wieder in mir auf. Folgende Worte entflohen meinem Munde: “Der faulige Hauch der Armut, der sich langsam im Magen der Menschen zusammenbraut, vergärte Ablehnung und Erniedrigung unter Zusatz von etwas Hefe sowie Erfolglosigkeit und Neid – diese Gase steigen dir schon den Rachen hoch. Wenn du den Mund aufmachst, muss ich mir die Nase zuhalten. Deine Worte stinken nach Unfähigkeit.”
Frederyk blickte zu Boden, er nahm meine Beurteilung geduldig auf. Er hat vielleicht schon Schlimmeres gehört, denke ich jetzt beim Schreiben dieser Zeilen. Ich fuhr fort: “Dir fehlt der Humor, Freddy,” und klopfte ihm dabei auf die Schulter. Dabei löste sich eine kleine Staubwolke aus seinem Jäckchen und schwebte durch den Raum, “aber ihr Deutschen ward ja noch nie gut darin.”
“Das ist nicht lustig,” antwortete Frederyk.
“Such dir eine Arbeit, Freddy! Denk positiv. – Okay, das war jetzt ein Witz. Aber eine Arbeit könntest du dir schon suchen.”
“Tu ich ja. Und es ist genau das, was mich so frustriert, dass ich mir manchmal aus Protest die Zähne nicht putze. Es ist die reine Folter. In der Schule wurde uns die Fähigkeit gegeben – zumindest in Deutschland, ich weiß nicht was ihr hier unten am Balkan in der Schule gelernt habt außer “Schmäh zu führen” – also uns wurde beigebracht, Zusammenhänge und Ungleichheiten zu verstehen. Und jetzt können wir genau beobachten, wie wir Opfer dieser Ungleichheiten werden und können nichts dagegen tun. Gar nichts. Wir sind machtlos. Du sagst, ich solle mir eine Arbeit suchen. Ich scheiße schön langsam auf diese blöden Job-Suchmaschinen. Man wird in jeder einzelnen Annonce erniedrigt. Die Anforderungsprofile für die angebotenen Posten sind alle so formuliert, dass NIEMAND sie erfüllen kann. Noch dazu wird so viel sinnlose Arbeit angeboten und einem gleichzeitig vermittelt, dass man nicht gut genug dafür ist. Man wird als unzulänglich erklärt. Ich will diesen ganzen Scheiß ja gar nicht, ich will weder ein Social-Media-Fritzchen sein noch irgendjemandem Schrott verkaufen, aber ich muss doch von irgendetwas leben. In der Politik sagen sie, dass Arbeitsplätze die Lösung seien und dass sie welche schaffen wollen, aber ich glaube, Arbeit ist das Problem. Die Menschen leiden unter der Arbeit, sie leiden an ihrer Sinnlosigkeit und unter dem Druck, der in vielen Betrieben herrscht. Verdreh’ nicht die Augen, ich weiß das, ich hab ja auch schon gearbeitet. Der Druck schwappt über ins Private und die Geborgenheit mit der Freundin ist auch nicht mehr so. Du, hast du eigentlich wieder einmal was von Giradella gehört?”
Ich sagte nichts. Gut, dass Frederyk so in Fahrt war. Es ging weiter: “Würdevolle Arbeit unter würdevollen Bedingungen, die anständig abgegolten wird, gibt es so etwas? Nein! Ich muss meine Freunde, auch dich, lieber Bertl, als Konkurrenten sehen. Sie dividieren uns auseinander. Und du redest von Humor.”
Obwohl ich meinem Freund zustimmen wollte, sagte ich in meinem besten Falco-Slang: “Heast, Freddy, scheiß dir nicht ins Hemd,” worauf er ausholte und mir mit seiner Faust mit voller Wucht ein blaues Auge schlug und sich dabei zwei Finger verstauchte.
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